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Hollywood spooks
 
Das fotografische Portrait ist für mich eine der aufregendsten Möglichkeiten einen Menschen anzusehen. Man kann einen Menschen untersuchen, studieren, anhimmeln, bewundern, aber auch kritisieren, hässlich finden, sich vor ihm ekeln und verständnislos gegenüberstehen. Dabei störe ich sie oder ihn nicht, der Referent ist es ja nur der vor mir ist, durch den der Portraitierte sich ganz bewusst in einem Moment detailliert ansehen lässt, der in die Ewigkeit reicht, meinen Raum teilt und ich weiß, was mir gesagt wird, ohne dass ich etwas höre. Tatsächlich wird jedes lebende Individuum durch das fotografische Portrait zum GESPENST (spook), wie es schon Roland Barthes treffend formulierte. Die Zeit wird angehalten, der Tod wird überwunden, ausgetrickst, …weggeknipst. Das fotografische Gespenst ist die transparente Evidenz des Gewesenen, der permanente Referent eines Individuums, wie es gesehen werden will, gesehen wurde und je nach Kontext gesehen werden kann. Geheimnisvoller Weise spielen hier intime Nähe und keusche Distanz zusammen in unserer paradoxen Vorstellung. Die Zeit ist nicht anzuhalten, die Details sind nicht zu sehen, der Raum nicht transportierbar und Geäußertes immer hörbar in unserer Physik. Nur die Portraitfotografie kann das im Zusammenspiel mit unserer Wahrnehmung vergessen lassen.
Die Portraits dieser Reihe sind nicht von mir aufgenommen. Sie sind von mir gefunden und ausgesucht worden, weil sie alle etwas ungewöhnliches vereint: Sie alle sind n i c h t perfekt. Für Hollywoodportraits ist das sehr ungewöhnlich, denn diese sollten (vor allem aus der Zeit 1920-1960) glamourös und ausdrucksstark, überzeugend und brillant sein. Das sollte sich sowohl in der Haltung der Abgelichteten, als auch in der fotografischen Technik unmittelbar zeigen.
Die Hollywood Glamour Portraits entwickelten sich parallel zu dem Aufstieg der Filmindustrie vor allem in den 20er Jahren. Die Firmen hatten hauseigene Fotografen, die nichts anderes taten, als Portraits von Filmfiguren und den Stars anzufertigen, die sowohl für die Promotion der Filme und der Stars selbst, als auch für ihre eigen Archive und Verwaltungen dienten.
Als Erfinder der Glamourfotografie Hollywoods gilt unter anderen George Hurrell, der ab den 30er Jahren zunächst als Hausfotograf von MGM verpflichtet wurde, dann aber selbstständig sein Fotoatelier in Hollywood betrieb und dadurch für andere Filmfirmen (Warner Brothers, Columbia, Paramount) die Filmstars portraitierte. Er nutzte das Filmlicht, das er in den Studios vorfand, um den Stars noch mehr Glanz zu verleihen. Hurrell war zusätzlich ein Meister der Retusche. Seine Bleistift-Eingriffe, wenn er sie denn selbst vornahm, erzeugten eine wachsartige Haut, die die Stars makellos darstellten. Die Retusche wurde vor allem nötig, wenn die Schauspieler nicht filmgerecht geschminkt waren oder nur kleine Hautunreinheiten von dem 8x10 Negativ abgebildet wurden. Hurrell bemerkte, dass er nichts lieber fotografierte als Filmstars, weil diese ihm zufolge ein wunderbares Gefühl für die fotografischen Aufnahmen hätten. Sie posieren ohne dabei künstlich zu wirken. Das ist die besondere Fähigkeit von Schauspielerinnen und Schauspielern. Sie können mit ihrem Blick Tiefe erzeugen, die den Betrachter fesseln und beeindrucken. Marlene Dietrich bestand darauf bei dem Shooting bei Hurrell einen Spiegel so neben die Kamera zu stellen, dass sie ihre Posen ständig überprüfen konnte. Schauspielerinnen und Schauspieler verkörpern eine authentische Haltung, die unerlässlich für eine interessantes Portrait ist.
Obwohl diese Hollywood-Portraits dieser Reihe sind nicht von bester Qualität sind, wurden die meisten veröffentlicht. Viele der Negative sind auch nur Kontaktkopien von den Originalnegativen oder Kontakte von Prints. Der Bildqualität schadet das nur selten. Bei manchen Negativen kann man die Striche der Bleistiftretusche auf den Emulsionsseiten der Originale (Marlene Dietrich) sehen. Das dritte Portrait von Gary Cooper (Ball of Fire 1941) wurde von George Hurrell aufgenommen. Dass das vorliegende Negativ das Original ist, scheint aber unwahrscheinlich. Aber auch die von den besten Hollywood Fotografen gemachten Bilder sind mitunter nicht von der großen Qualität, für die sie normalerweise gefeiert werden.
Die vermeintlich schlechteren Bilder haben gerade weil sie nicht perfekt sind, eine besonderen Charme und rücken die Stars und Fotografen in ein sehr menschliches Licht. Insofern stellen die folgenden Bemerkungen keine Kritik, sondern wollen als Suche nach dem kaum sichtbaren Unperfekten, dem Analogen, dem Organischen und deshalb dem unverwechselbar Besonderen, das die schönste Wahrheit ist, verstanden werden.


the spooks


Gary Coopers Portrait aus den 20er Jahren ist für die damalige Zeit recht typisch. Die noch aus dem Piktorialismus stammenden ästhetischen Besonderheiten, wie die malerische Unschärfe, wahrscheinlich mit Hilfe eines Universal-Heliar Objektivs der Firma Voigtländer erzeugt, sind bei fast allen Portraits der damaligen Zeit zu finden. Sie wurden auch in den ersten Filmzeitschriften, wie zum Beispiel Die Filmwoche publiziert. Fotografisch gesehen ist das Bild sicherlich gut. Was aber verwundert ist der Blick Coopers. Er wirkt überhaupt nicht, wie der ruhige, einsame Held, der von ihm in vielen Rollen verkörpert wurde. Vielmehr erscheint er mit seinem Grinsen wie ein junger Collegestudent aus einem Jahrbuch.
Das Portrait von Ann Blyth sieht auf den ersten Blick ebenfalls nicht ungewöhnlich aus. Beim genauen betrachten sieht man, dass die Schärfe nicht auf dem Gesicht oder den Augen liegt, sondern auf dem Blumenteil des Kleides und auf der linken Hand. Die ganz leichte Unschärfe im Gesicht erzeugt eine makellose Haut und unterstützt die Leuchtkraft des Gesichts, das viel stärker beleuchtet ist als der Rest des Bildes. Übertrieben scheint die Streckung des Halses.
Ann Rutherford blickt so extrem über ihre linke Schulter, dass sie mit dem rechten Auge ganz leicht schielt. Der Puffärmel am linken Arm wird durch die Unschärfe noch zusätzlich aufgebläht und nimmt viel zu viel Platz ein.
Sir Alec Guinness erscheint wie ein Büroangestellter. Von Lawrence von Arabien oder gar Obi Wan Kenobi ist dieses Portrait weit entfernt. Das Portrait war für den Film 1000 Meilen bis Yokohama  gemacht, in dem Guinness einen Japaner spielte. Das Portrait ist so gewöhnlich wie die meisten Passfotos.
Eine rauchende Ann Sheridan wäre heute sicher nicht möglich. Hinzukommt erneut, dass die Schärfeebene nicht auf dem Gesicht, sondern weiter vorn auf den Händen und den Handschuhen liegt. Insgesamt erinnert die Komposition an einen schiefen Geschirrturm, viele Diagonale (Schultern, Augen, Hut, Oberarm, Kragen, Handschuhe…) durchlaufen das Bild.
Ann Sothern wirkt sehr unbeholfen oder auch unnatürlich positioniert. Sie lächelt schüchtern, fast verunsichert, oder schon genervt? Der Hintergrund ist ungewöhnlich unruhig und wahrscheinlich hat jemand vergessen, die Falte links aus dem Stoff zu ziehen. Zusammen mit der Kopfneigung bildet die Falte und die seltsame Ecke rechts im Hintergrund eine Diagonale, den Star nach rechts verbiegt.
Ganz frisch sieht der Blick von Anna Neagle nicht aus, sie ist vielleicht müde. Die linke Schulter ist fast so groß wie das Gesicht. Die schönen blonden Locken verschwinden fast in den Blättern im unruhigen Hintergrund.
Barbara Stanwyck wurde zu wenig ausgeleuchtet. Das Gesicht musste mit der Bleistift-Retusche komplett aufgehellt werden. Das war eine schwierige Angelegenheit, weil die Gesichtsform nachgezeichnet werden musste. Die Unschärfe im Gesicht führt dann zusätzlich dazu, dass ihr Gesicht weich, fast gemalt aussieht. Die Schärfe liegt dafür auf den Armreifen, dem Pelz und der Spitze.
Clark Gable sieht ziemlich verbeult aus. Auch sein cooler Blick ist nur noch auf dem rechten Auge zu sehen. Die Beulen wiederholen sich im Hintergrund durch den Stuhl und die Pflanzenblätter rechts.
Viel zu wenig Licht bekommt auch das Gesicht von Constance Bennett. Einmal mehr stimmt die Schärfe nicht. Der linke Arm ist sehr unvorteilhaft ins Bild gesetzt, er sieht speckig aus.
Elisabeth Bergner hat zu viel Licht im Gesicht. Unvorteilhaft ist das allerdings nicht. Trotzdem erinnert das Portrait eher an einen Schnappschuss. Wahrscheinlich ist das Negativ von einem Print gemacht worden und wird dadurch zu einer schlechten Reproduktion. Vielleicht ist die Verlagerung der Schärfeebene leicht nach vorn auf den Kragen absichtlich, um das Gesicht weicher zu gestalten.
Gary Cooper hält seinen Hut wie eine Torte oder eine Frisbeescheibe. Unter Umständen war das Bild noch nicht fertig eingerichtet und die Position noch nicht klar. Seine Schulter sind verspannt, sein Gesichtsausdruck fragend und unkonzentriert.
Helen Vinson ist der linke Träger ihres Kleides heruntergerutscht. Auch dieses Portrait ist von George Hurrell aufgenommen (1940). In diesem Setting gibt es einige Portraits, die eine ähnlich leicht frivole Stimmung haben. Auch hier liegt die Schärfe nicht auf dem Gesicht, sondern davor auf den Knien und Händen.
John Wayne wirkt etwas bemüht und gewöhnlich. Die Kappe irritiert, obwohl sie zur Rolle gehörte. Augenfällig ist die glänzende Nase des Stars.
Lana Turner´s Blick ist entschieden, ungehalten oder brutal und gemein bis diabolisch. Es mag an der Rolle im Thriller Portrait in Black gelegen haben. Auf jeden Fall war sie mit dem Bild einverstanden, denn sie hat Abzüge davon signiert. Seltsam und unruhig sind die vielen Diagonalen im Bild, die durch die Falten des Kleides, Schultern und Körperlängsachse, die Streben der Rückenlehne und die Lichtmodellierung im Hintergrund entstehen.
Gary Cooper ist dem Betrachter im Alter von 40 Jahren schon deutlich vertrauter. Auffällig ist der nicht gut gebügelte, verknitterte Anzug. Cooper gilt als einer der bestgekleideten Männer aller Zeiten, der seine Anzüge wie auch Cary Grant in der Savile Row in London anfertigen ließ. Ferner wirkt das Bild durch die dramatische Beleuchtung ein wenig dämonisch.  
Marlene Dietrich sitzt in diesem Portrait gekonnt seitlich und schaut den Betrachter wie gewohnt verführerisch an. Das Negativ ist am Hals retuschiert, damit der Schlagschatten das Gesicht nicht zu sehr ausschneidet. Trotzdem ist der Unterkiefer so groß, dass sie ein leichtes Mondgesicht bekommt. Die weißen Pailletten strahlen und stören sich an den Ornamenten des Stuhls, auf dem sie sitzt. Auch der Vorhang beunruhigt das sonst sehr gute Portrait.
Patricia Morisons Portrait ist technisch perfekt: Der Fokus stimmt, die helle Erscheinung vor dem dunklen Hintergrund ist beeindruckend. Sie scheint den Betrachter direkt anzusehen, aber wenn man genau hinsieht, schaut sie durch den Betrachter hindurch, als wäre sie abwesend und nicht bei der Sache. Der Schatten unter der Unterlippe und am linken Auge hätte auch retuschiert werden können.

Bis auf Ann Blyth sind alle Portraitierten bereits gestorben. In ihren Portraits sind die Stars direkt präsent. Sie sind lebendig, menschlich, interessant. Sie sind die Geister, zu denen wir alle werden, wenn wir uns fotografieren lassen und eine kommunikationsfähige Präsenz zulassen. Wir wissen nicht, wer die Bilder von uns einmal sieht, aber wir gehen davon aus, dass es so sein wird und die Betrachter sehen wie wir gesehen werden wollten, wie wir waren und wie uns der Fotograf gesehen hat.

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